“Wie bei jedem mythischen Ort
kreisen zahlreiche Legenden um das Gefängnis vom Ende der Welt und um die
Frage: War Carlos Gardel einer seiner Insassen? Eine der Zellen ist dem vermutlichen
Aufenthalt der kreolischen Nachtigall gewidmet.
´Man kann es glauben oder
auch nicht. Man sagt Gardel sei da gewesen. Viele der Dokumente sind
verloren gegangen. Zwar gibt es Briefe mit seinen
Initialien, die er erhielt. Man sagt, er sei dort gewesen wegen
eines leichten Vergehens´ sagt Fernanda Fuentes.
Die Tatsache ist jedoch, dass
die Fans des Sängers – dessen Leben voller Geheimnisse ist – versichern, dass
es keinen Beweis dafür gibt”.
Was jedoch sicher ist, ist die Tatsache, dass die
Ermittlungen des Gefängnisses im Hinblick auf die Suche nach Dokumenten erfolglos
war:
“Wenn man in den
Strafregistern und Urteilen sucht, wird man nichts finden. Alles wurde nach Bs.
As. geschickt und ging laut Zeugenaussagen im Keller des alten
Gefängnisgebäudes verloren. Aber es gibt viele, die überzeugt sind, dass
die Geschichte wahr ist. Wenn man mit alten Einwohnern und Gefängniswärtern
spricht, scheint es eine Wahrheit ohne Widersprüche zu sein. Laut Manuel Buezas, Sohn eines
Gefängniswärters, lernte sein Vater “Carlitos” kennen, als man ihn nach Bs.
As. schickte um eine kurze Haftstrafe abzusitzen, bevor er seine Karriere
als Künstler begann. Man sagt sogar, dass er in Ushuaia als Payador begonnen
hat. Der Grund der Haftstrafe bestand wohl in Affären, die mit Frauen und
Politik zusammenhingen. Eine andere Version beschuldigt ihn, dass er als “Schmieresteher”
tätig war und nach einer Schießerei festgenommen und ins Gefängnis
gebracht wurde. Herr Buezas behauptet
auch, dass man diese Episode verschwiegen habe, um nicht das Ansehen des
populären Sängers zu beschädigen, zumindest habe das einer seiner
Repräsentanten bestätigt, als er eine Zeit im Gefängnis von Devoto (in Buenos
Aires) verbrachte. . . “ aus Buenos Aires.
„In einer der Zellen ist eine Zeichnung von Carlos Gardel,
lächelnd. Gemäß der Legende war die Ikone des Tangos in dieser winzigen
Zelle eingesperrt. Wenn das wahr wäre – im Eingangsregister gibt es eine
Person mit Namen Charles Romuald Gardés – dann hätte er hier sein Lied “más
amarga” gesungen. Diese Versionen kursierten in den damaligen Zeitschriften –
sagt Garcia – aber wir können sie noch nicht als gesichert ansehen. Man sagt
er war dort wegen Mädchenhandels. Wenn er es war, dann hätte er ein Wiederholungstäter
sein müssen (weil dieses Gefängnis eines für Wiederholungstäter war). "
(Bild aus der Fotogalerie die die Notiz von EFE illustriert) |
So ist das ehemalige Gefängnis und heutige Museum der
Protagonist eines tiefen Widerspruchs, wenn es “die Zelle Gardel's” zeigt,
während es zugibt, dass “wenn man in der Archiven und Urteilen sucht, man
nichts darüber finden kann” - eines einer Reihe von widersprüchlichen und unbestätigten Argumenten.
Die Legende ist nicht neu und erfuhr zahlreiche Varianten.
Sie begann 1969, als Tabaré di Paula eine Karte veröffentlichte mit der
Widmung: “für Herrn Villanova, unerschrockener Seemann der Südküste, der Cap
Horn überquerte und der auf dem Rio de la Plata seekrank wurde, 21/02/1907”
Unter den Unterschriften befindet sich ein sogenannter „C.
Gardel“.
Postkarte veröffentlicht von Tabaré di Paula |
Die gleiche Veröffentlichung weist darauf hin, dass der
Leutnant Eduardo Villanova im Jahre 1905 aus politischen Gründen zu einer
Gefängnisstrafe verurteilt worden war und von
der Amnestie im Mai 1906 profitierte, so dass es nicht zu erklären ist, dass
er neun Monate gewartet haben soll um das Gefängnis zu verlassen. Wenn wir
dazu noch in Betracht ziehen, dass die Postkarte von Puerto de Bajada
Grande, Paraná (Provinz Entre Rios) stammt, können wir berechtigte Zweifel
anmelden, dass diese Karte etwas mit der Freilassung in Ushuaia zu tun hat,
auch wenn es nicht die Absicht dieser Arbeit ist diesen Aspekt zu klären.
Stattdessen ist es wichtig hervorzuheben, dass Gardel 1907
seinen Künstlernamen noch nicht angenommen hatte, sondern als „Gardes“
unterschrieb und dass sich seine Handschrift sehr von der auf dieser Karte
unterscheidet. Den Beweis finden wir auf dem Dokument vom 11. September
1904, als er
in Florencio Varela festgesetzt wurde, weil er von zu Hause weggelaufen war
und zum ersten Mal seine Fingerabdrücke abgeben musste und
seine Daten und seine Unterschrift registrieren lassen musste.
Unterschrift seiner Festnahme 1904 |
Es ist auch unwahrscheinlich, dass alle Spuren der
Delikte, die man ihm zuschrieb, und damit der
Inhaftierungen, Beschuldigungen, Strafverfolgungen, Gerichtsverfahren und
Verurteilungen verschwunden sein sollen. Auch wenn von Ushuaia Register und
Urteile nach Buenos Aires geschickt wurden wo “sie im Keller verloren gingen” -
um ins Gefängnis zu kommen, musste man Polizeistationen und Gerichte durchlaufen
und vor den Richter und den Staatsanwalt gestellt werden – dies alles wurde in
internen Aktenvermerken registriert und in offiziellen Publikationen und
Zeitungen beider Provinzen veröffentlicht.
Da es sich um ein Gefängnis für Wiederholungstäter handelte, war es außerdem nötig, zwei oder mehr Strafen abgesessen zu
haben, um sich dort eine Zelle zu „verdienen“, vor allem in einer Zeit, in der
das strenge Aufenthalts-Gesetz
Fremde wegen kleinster Vergehen abschob.
In einigen der erwähnten Archive müsste festgehalten
worden sein:
1)
Datum des Eintritts und Austritts des Sträflings
2)
Die Anklage, die gegen ihn
erhoben wurde
3) Wann und wo er die vorangegangenen Verurteilungen abgesessen
hatte
4) Staatsanwaltschaften, die ihn
strafrechtlich verfolgten
5) Details der Urteile und
vieles weitere
Im Jahre 1906 besuchte der junge Sänger Uruguay, weit
entfernt von Ushuaia, und hinterließ als Beweis ein Foto, gewidmet seinem
Freund Pedro Guzzati:
“als Beweis der Freundschaft und Zuneigung für meinen Freund Pedro Guzatti, Carlos Gardes” |
Minderjährig, ohne Vaterfigur, der ihm Orientierung gegeben hätte in den
“Männersachen”, verbrachte er seine Jugend zwischen Buenos
Aires und Montevideo mit kleineren Jobs und widmete sich der gesunden Entspannung mit der Gitarre,
die ihn zu einer außergewöhnlichen Karriere führen würde.
Seine Abenteuer als junger Mann bilden eine reiche
Anekdotensammlung auf die wir in diesem dokumentarischen Artikel dokumentarischer Natur verzichten. Eine davon berichtet
von einer Gefangennahme auf Grund einer von seiner Mutter eingereichten
Beschwerde, bezeichnet als “Anfrage des Aufenthaltsorts”, einziger Eintrag in der Polizeiakte der
Hauptstadt, aus der wir zitieren:
Abteilung Bücher. 31. Januar 1913.
Carlos Gardes, Frankreich, 22 Jahre ist nicht identisch mit
dem festzunehmenden , identisch mit dem Gesuchten namens Garderes Register A
15861”
Dieser kurze Text schließt überzeugend alle möglichen
Vermutungen über frühere Verurteilungen aus (wenn sie existiert hätten,
hätten sie erwähnt werden müssen), aber irrtümlicherweise galt seit (1967) als sicher, dass Garderes ein Aliasname war, der von
Gardes/Gardel benutzt wurde, um Straftaten zu begehen.
Wir widersprechen der Bildunterschrift und weisen darauf hin,
dass die Unterschrift sich von der Gardels grundlegend unterscheidet, besonders
bei den “R” und dem Schnörkel. Zudem zeigt das Manuskriptfragment vom 2. April
1907, das diesem vorangeht, dass es sich um „Carlos Garderes, Orientale, 20
Jahre, (geboren 1887), ledig, beschäftigt bei dem Unternehmen La Comercial.“
handelt.
Nichts davon passt zu unserem Carlos, noch “Gardes”,
Franzose, 16 Jahre (geboren 1890), dessen Anwesenheit in einem Gericht am 2.
April unmöglich gewesen wäre, wenn er in Ushuaia am 21. Februar (Datum
der Postkarte Villanova) entlassen worden wäre: Er hätte keine Zeit
gehabt nach Buenos Aires zurückzukehren, nach Montevideo überzusetzen, eine
Straftat zu begehen, entdeckt zu werden, angezeigt, festgenommen, angeklagt,
vor ein Gericht gestellt, befragt etc. etc. zu
werden.
Eine grundlegende Suche ergab als Resultat das Vorhandensein
von mindestens zwei Carlos Gaderes: Den vom 21. Oktober 1884, herkommend
vom Hafen von Burdeos, der erste von ihnen landete in Buenos Aires, war ledig
und 18 Jahre alt. Da er sich für Bergbau interessierte, ist es nicht schwer
daraus zu schließen, dass sein Ziel Uruguay war, in dem man sich damals seitens
der „französischen Gesellschaft der Goldminen“ stark dem Bergbau widmete.
Diese Vermutung verstärkt sich angesichts der Anwesenheit des
anderen Carlos Garderes (vermutlich ein Nachkomme des vorigen), der 1912 und
1920 heiratete, woraus sich die Altersgruppe
ableiten lässt, der er angehörte.
Die Archive von Uruguay sind nicht im Internet verfügbar
weshalb es nicht möglich war bessere Details zu erhalten, aber die belegte
Existenz von Carlos Garderes, dessen Aufenthalt in Montevideo zusammenfällt mit
“.... Beschäftigter des Unternehmens La Comercial” zeigt den Irrtum, den man
beging, indem man ihn mit unserem Sänger in Verbindung brachte.
Deshalb hatte die Erwähnung in der Akte des Sängers von 1913
den Zweck zu erklären, dass es sich um eine andere Person handelt, auch wenn
man sie verwechseln kann wegen der Ähnlichkeit der Nachnamen (Garderes
spricht man “Gardér”), der Herkunft aus Frankreich, der Übereinstimmung der
Vornamen und des geringen Altersunterschiedes.
Diese Situation erklärt auch die Ängste von Doña Berta
dass ihr Sohn festgenommen worden sei und die Notwendigkeit seitens der
Polizeibeamten zu protokollieren, dass es einen Aktenvermerk gibt, den man ihm
irrtümlicherweise zugeschrieben haben könnte.
Man beachte außerdem, dass die Nummer des Nachschlagewerkes
zu Gardel im Nachhinein durchgestrichen wurde und dazu noch in roter Farbe, ein
neuer Beweis, dass das nicht dem ursprünglichen Dokument entspricht.
Stattdessen, wenn der Vermerk zum Zweck gemacht worden wäre
Gardes/Gardel mit Garderes in Verbindung zu bringen, hätte man die
beiden Akten zusammengelegt und die
richtige Urkunde aufgegeben, entsprechend der üblichen Praxis der öffentlichen
Verwaltung. Keine Gelegenheit wäre günstiger gewesen.
Der Eifer und das morbide Bedürfnis, Gardel in einen
Straftäter zu verwandeln um ihn „mehr zu bewundern“ (?) führten auch zu der
Verfälschung der Polizeiakte, was Gelegenheit dazu gab, seinen Personalausweis
dahingehend zu bearbeiten, dass er durch eine Polizeiakte in einen
heimtückischen Betrüger verwandelt wurde.
Beachten Sie das 2.
Blatt, datiert vom 18. August 1915, mit dem Briefkopf der Polizei der Hauptstadt (in einer
Übersicht der
Provinz) und mit der Anklageerhebung nach
Abschluss des Verfahrens, obwohl Gardel
schon am 15. August nach Brasilien gereist war, mit einem Personalausweis, der
von diesem Amt ausgestellt worden war. mit dem Personalausweis dieses
Amtes. Beachten Sie auch den
auffälligen Bruch, der nicht zum Zustand der anderen Blätter passt und
verhindert, dass man den Nachnamen liest.
Die oben genannte Verfälschung ist in
derselben Akte zu sehen, in der als einzige Vorstrafe die Festnahme von 1904
in Florecia Varela vermerkt ist (30 km von Buenos Aires entfernt). Wenn es
weitere Polizeiaktionen danach gegeben hätte, wären sie dokumentiert worden.
Zudem schafft dieses Dokument die
Verbindung zwischen Gardes (1904) und Gardel (1915) und trennt Gardel
unzweifelhaft von Garderes.
Zusammenfassend kann gesagt werden,
dass 1913 keine Vorfälle bei der Polizei der Hauptstadt registriert wurden und
dass die Provinzpolizei lediglich 1915 sein Weglaufen von zu Hause im Jahre
1904 festhielt, eine Episode, die weit davon entfernt ist, eine Gefängnisstrafe zu
verdienen und mit der „Übergabe an die Mutter“ endete. Von da ab ist das Leben Gardels perfekt
rekonstruiert und dokumentiert ohne Platz für die Interpretationen, die man
versucht hinzuzufügen.
Als logische Konsequenz dieser dokumentarischen Chronologie
gibt es das Zertifikat für gute Führung ausgestellt durch die Polizei
der Hauptstadt am 15. Februar 1923. Natürlich haben die üblichen Kritiker seine
Echtheit angezweifelt, immer ohne gültige oder nachweisbare Grundlagen.
Die Schlagkraft dieser Dokumentation widerlegt die
mündlichen Geschichten, die die Legende von Gardels Gefängnisaufenthalt
aufrechterhalten. Deshalb bitten wir um die Verbreitung der vorliegenden
Arbeit, um den Verfälschungen ein Ende zu setzen, die die Erinnerung an eine
Ikone unserer Identität besudeln.
Von Ana Turón
Übersetzung Heidi Schröfel